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Unrealistischer Träumer (3/4): Murakami Haruki Rede zur Verleihung des International Catalunya Prize am 11. Juni 2011

Unrealistischer Träumer (3/4)

Murakami Haruki Rede zur Verleihung des International Catalunya Prize am 11. Juni 2011


In Angesicht der überwältigenden Atomkraft sind wir alle Opfer und Täter.
Wir sind alle der Bedrohung durch Atomenergie ausgesetzt -- in diesem Sinne sind wir alle Opfer.
Wir haben Atomenergie genutzt und wir können nicht aufhören, sie zu nutzen --  in diesem Sinne sind wir alle Täter.

Es ist das zweite mal, dass wir so furchtbare atomare Schäden erleben.
Aber diesmal hat keiner Atombomben abgeworfen.
Wir Japaner haben diesen Unfall selbst verschuldet: wir haben einen Fehler gemacht, unser Land ruiniert und unser Leben zerstört.

Wie konnte das passieren?
Wo ist unsere Abneigung gegenüber Atomkraft hin?
Dieses Gefühl hatten wir noch lange nach dem Krieg.
Unser Ziel war immer eine wohlhabende und friedliche Gesellschaft.
Was hat dieses Ziel verdorben und zerstört?

Der Grund ist einfach.
Es ist "Kouritu". Effizienz.

Energieversorger beharren darauf, dass Atomkraftwerke effiziente Stromerzeuger sind.
Das bedeutet, dass sie profitabel sind.
Zudem bezweifelt die japanische Regierung, besonders nach dem Ölschock, die Stabilität der Ölversorgung.
Die Regierung hat den Bau von Atomkraftwerken zum Regierungsprogramm erhoben.
Die Energieversorger haben Unmengen Geld in Werbung gesteckt, die Medien genötigt und die Illusion atomarer Sicherheit verbreitet.

Eines Tages haben wir die Wahrheit erkannt: 30% der Elektrizität wird in Japan aus Atomkraft gewonnen.
Obwohl das japanische Volk sich dessen nicht bewusst ist, hat die kleine Insel Japan, ein Land mit häufigen Erdbeben, die weltweit drittgrößte Ansammlung von Atomkraftwerken errichtet.

Jetzt ist es einfach eine Tatsache, dass wir Atomkraft nutzen.
Leute, die Angst vor Atomkraft haben, werden mit Drohungen kritisiert wie "Dann haben Sie kein Problem damit, dass wir nicht genug Strom haben?"
"Ist es in Ordnung für Sie, wenn wir im Sommer keine Klimaanlagen benutzen können?"
Menschen, die Atomkraft in Frage stellen, werden als "unrealistische Träumer" abgestempelt.

Das ist die Situation, in der wir uns nun wiedergefunden haben.
Die Atomkraftwerke, die hätten sicher und effizient sein sollen, zeigen uns nun Verwüstung, als ob sie das Tor zur Hölle aufgestoßen hätten.

Atomkraftwerksbefürworter haben immer darauf bestanden, man "solle sich der Realität stellen".
Diese Realität war nicht die Realität, es war nur eine oberflächliche Bequemlichkeit.
Sie haben die Realität durch ihre "Realität" und fehlerhafte Logik ersetzt.

Dies ist eine Verfälschung des Technologiemythos, auf den Japan lange stolz war.
Gleichzeitig ist es die Niederlage der Ethik und Werte der Japaner, die so eine wankelmütige Logik zugelassen haben.

"Bitte ruhet in Frieden, wir werden den Fehler nie wiederholen."

Wir müssen diese Worte wieder in unsere Herzen meißeln.

Dr. Robert Oppenheimer war der Chefentwickler der Atombombe im Zweiten Weltkrieg.
Er war erschüttert, als er von den katastrophalen Szenen erfahren hat, die von den Atombomben verursacht wurden.
Er sagte zu Präsident Truman,

"Herr Präsident, an meinen Händen klebt Blut."

Präsident Truman bot Oppenheimer sein weißes, sauber gefaltetes Taschentuch an und sagte:
"Bitte. Möchten Sie es abwischen?"

Natürlich gibt es kein sauberes Taschentuch, mit dem man all das Blut dieser Welt aufwischen kann.

Wir Japaner sollten unaufhörlich "Nein!" zu Atomkraft rufen.
Das ist meine persönliche Meinung.

Wir hätten all die Technologie, die wir hatten, zusammennehmen sollen, wir hätten die Weisheit, die wir hatten, vereinigen müssen, wir hätten viel Kapital aufwenden müssen, um eine neue Energiequelle als nationale Alternative zu Atomkraft zu entwickeln.
Das hätte unsere Möglichkeit sein können, unserer gemeinsamen Verantwortung für die Opfer von Hiroshima und Nagasaki gerecht zu werden.
Das wäre unsere große Gelegenheit gewesen, die Gelegenheit des japanischen Volkes, wirklich etwas zur Welt beizutragen.
Auf dem Weg zu rasantem Wirtschaftswachstum wurden wir allerdings von einem einfachen Argument, der sogenannten "Effizienz", mitgerissen und sind vom wichtigen Pfad abgekommen.

Der Wiederaufbau zerstörter Häuser und Straßen ist die Aufgabe fachkundiger Menschen.
Aber unsere ruinierte Ethik und Werte wieder herzustellen, das ist die Aufgabe jedes einzelnen von uns.
Es wird eine schlichte, rustikale und geduldige Arbeit sein.
Wie, wenn an einem Frühjahrsmorgen alle Bewohner eines Dorfes auf die Felder gehen, die Erde pflügen und besäen, müssen wir uns zusammenschließen und diese Arbeit gemeinsam tun.

Es sollte einen Teil geben, den wir, die Spezialisten der Worte, die Autoren, zu dieser riesigen kollektiven Aufgabe beitragen können.
Wir müssen die Saat neuer Geschichten ausbringen und ihnen zur Blüte verhelfen.
Es sollten Geschichten sein, an denen wir alle einen Anteil haben können.
Sie sind wie Lieder beim Säen auf dem Feld -- sie werden die Menschen mit ihren Rhythmen bestärken.



Acknowledgments

Thanks to Daniel S. and Andy K. for working with me on this translation.

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